1 Einleitung

Orgeln der Kleinmeister sind oftmals „Opfer der Geschichte“. Ihre Qualitäten werden meist spät entdeckt und auch nur dann, wenn sie dem restlosen Verfall ausgesetzt sind. Diese Erkenntnis erstreckt sich über alle Epochen.

„Es gilt vor allem, heute nicht wiederum an den ‚romantischen’ Orgeln zu versäumen, was man gestern an der ‚barocken’ versäumte. Im Saalkreis gibt es einige Instrumente des 19. Jahrhunderts – ich denke insbesondere an Wäldnersche Werke –, die es Wert sind, dass man sie in ihrem ursprünglichen Zustand erhält.“[1]

So mahnte Wilfried Stüven 1964 in seinem Buch über die Orgeln des Saalkreises. Besucht man die Instrumente heute, ist genau das eingetreten, wovor er warnte, da kaum ein Instrument im benannten Raum in seiner Disposition original erhalten ist. Ein weiteres Problem schildert Michael Behrens: „Friedrich Wilhelm Wäldner (1785-1852): Ein vergessener Hallenser Orgelbauer des 19. Jahrhunderts.[2], und beschreibt die Rettung der Wäldner-Orgel aus Morl.[3] Er deutet mit seinem Titel an, dass das Thema und insbesondere der Orgelbauer Friedrich Wilhelm Wäldner in Vergessenheit geraten sind. Darüber hinaus fordert Behrens in seinem Aufsatz eine umfassende Untersuchung zum Leben und Werk der Wäldner.

Die Stellung der Wäldnerschen Werkstatt für die Stadt Halle im Kontext ihrer Orgelbaugeschichte ist in der Vergangenheit nicht beleuchtet worden. Sie reiht sich in eine sehr lange lokale Orgelbautradition ein, die mit dem Tode August Ferdinands endet. Einerseits weil keine Nachkommen das Geschäft übernahmen, andererseits weil die Orgelfabriken den Markt mit ihren nach industriellen Fertigungsmethoden hergestellten Instrumenten überschwemmten. So müssen sie in einem Zug mit den Größen des hallischen Orgelbaus genannt werden, wie z.B. Esaias Beck, die Familie Compenius, Christian Förner, Georg Reichel, Christian Joachim und die Familie Cunzius (Contius). Immerhin prägten die Wäldner Halles Orgellandschaft fast das ganze 19. Jahrhundert durch und errichteten in dieser Zeit einige Orgeln in deren Kirchen, so z.B. zwei Orgeln für den Dom, ein Positiv und eine große Orgel für St. Georg, Orgeln für Laurentiuskirche und Ulrichskirche und für das Stadtgymnasium. Dazu kommen Instrumente für heute eingemeindete Dörfer wie Angersdorf, Wörmlitz und Passendorf. Ging es um Reparaturen, Stimmungen und Umbauten, war die Werkstatt ebenfalls erste Anlaufstelle für Gemeinden.

Eine stilbetrachtende Monographie mit Gesamtwerkverzeichnis war daher absolutes Forschungsdesiderat. An diesem Punkt setzt die vorliegende Magisterarbeit an und reiht sich in eine Anzahl neuester Untersuchungen zum mitteldeutschen Orgelbau der Romantik ein.[4] Insgesamt könnte man zwar davon ausgehen, dass das nachlassende Interesse bzw. die Unkenntnis über den Wert der Wäldner-Instrumente im Sinne des romantischen Orgelbaus durch die Orgelbewegung forciert wurde, demgegenüber steht aber die Tatsache der Mangelwirtschaft des DDR-Regimes. Ihm ist doch die – wenn auch veränderte – Erhaltung der Instrumente zu verdanken. Da heute aber die großen Kirchen die Städte stärken und das Land vernachlässigen, besteht eine neue Bedrohung.[5] Die vorrangig in evangelischen Dorfkirchen gebauten Wäldnerschen Instrumente sind samt den Gebäuden in Gefahr. Wo die Kirche einspart, helfen nur noch Bürgerinitiativen, die mangels Motivation, hohe Arbeitslosigkeit und Desinteresse an der Kirche sehr spärlich sind. Ein Wandel der Situation ist nicht absehbar.

Aufgrund der negativen Entwicklung ist es wichtig, die Instrumente aufzuspüren, zu verzeichnen und in einem weiteren Arbeitsgang zu untersuchen. Bislang gab es keine umfassende Betrachtung der kleinen Orgelbauwerkstatt. Bevor weitere Instrumente ihrem gänzlichen Verfall entgegengehen, soll diese Arbeit ein erster Schritt sein, durch eine Inventarisierung einen Überblick über das Œuvre zu verschaffen.

Durch die vorgeschriebene Bearbeitungszeit der Magisterarbeit von sechs Monaten war eine Aufnahme aller Instrumente nicht möglich. Vor allem der Raum Brandenburg musste ausgespart werden. Ein weiteres grundlegendes Problem ist die Quellensituation. Bislang konnte noch kein Nachlass der Familie ausfindig gemacht werden. Auch die Nachkommen besitzen kaum Unterlagen. Dieser Umstand ist wohl den Folgen des Zweiten Weltkriegs zuzuschreiben. Daraus resultiert die Unwissenheit über ein Gesamtwerk. Entgegen der Situation bei Ladegast[6] oder Rühlmann,[7] wo Werkverzeichnisse existieren und die Orgeln beschriftet sind, gibt es hier keine Anhaltspunkte. Somit müssen die Instrumente fast kriminalistisch ausfindig gemacht werden. Die Archivarbeit für den Saalkreis wurde schon von Wilfried Stüven geleistet. Andere Pfarrarchive konnten aus Zeitmangel oder wegen großer Entfernungen teilweise nicht eingesehen werden, wurden im Krieg vernichtet, sind verschollen oder so ungeordnet, dass es einer immensen Aufräumarbeit bedarf, die an dieser Stelle nicht geleistet werden konnte. Zudem wurden Archivbestände in Landshauptarchive überführt oder in Sammelarchiven teils unsystematisch zusammengetragen. Oftmals verliert sich jegliche Spur.

1936 unternahm das Konsistorium in Magdeburg eine Erhebung aller in der Kirchenprovinz Sachsen befindlichen Orgeln durch Fragebögen. In vielen Fällen ist diese Quelle die ergiebigste, zumal dort Daten verzeichnet sind, die anhand von Chroniken und Pfarrarchiven zusammengestellt wurden.[8] Diese Daten aus „erster Hand“ wurden ergänzt durch die Orgeldatenbank Sachsen-Anhalt, Orgeldatenbank Berlin-Brandenburg sowie einzelnen Beständen aus Archiven. Die wichtigsten Quellen, wie sich im Verlauf der Arbeit herausstellte, waren die aufgesuchten Instrumente selbst. Bei manchen Orgeln konnten Inschriften entdeckt werden, die Orgelbauer bei Stimmungen und Reparaturen sowie Dispositionsänderungen hinterließen (meist auf der Rückseite des Notenpults). Nicht immer bestand die Möglichkeit, dies zu überprüfen. Die Arbeit ist instrumentenkundlich ausgerichtet, versäumt aber nicht die Betrachtung des historischen Kontexts.

Ziel und Ergebnis der Arbeit soll es sein, anhand der recherchierten und noch existierenden Instrumente einen Personalstil herauszuarbeiten bzw. überhaupt zu finden, da bislang der Name Wäldner recht blass wirkt und bei der breiten Masse keine Assoziation auslöst. Dies geht nicht, ohne auch die Person zu betrachten. Genauer gesagt gehört dazu die Aufarbeitung der Biographie. Sicher ist der Begriff des Personalstils eher an Komponisten gebunden, beschreibt aber im Falle des Orgelbaus ebenfalls die Eigenarten einer Person und den damit zusammenhängenden Produkten, die in jedem Fall geistiger Natur, doch im Instrumentenbau zudem materiell sind. In Ermangelung an Quellen können aber auch Eigenheiten der Orgeln Rückschlüsse auf die Person zulassen. Der so gefundene Personalstil, der eng mit dem Begriff der „Marke“ verknüpft und in seiner Bestimmtheit in den „Markenzeichen“ zu finden ist, lässt einen Vergleich zu anderen zeitgenössischen Orgelbauern zu und ermöglicht eine Einordnung in den historischen Kontext, woraus sich die Stellung und die Bedeutung der Wäldnerschen Werkstatt ergeben sollte. Demnach werden zuerst die Personen in der Arbeit beleuchtet, danach die Instrumente beschrieben. Im Anschluss sollen die „Markenzeichen“ der Wäldner herausgearbeitet werden. Ein Vergleich mit Zeitgenossen im deutschen bzw. mitteldeutschen Kontext wird den Stellenwert innerhalb der Orgelbaugeschichte verdeutlichen.

Dieses Ziel kann innerhalb einer Magisterarbeit natürlich nur im kleinen Rahmen verfolgt werden.

Die große Menge der Abbildungen ließ eine Einarbeitung in den Text aus praktischen Gründen nicht zu. Dafür wurde ein zweiter Band angelegt, der separat diesem vorliegenden Textband beiliegt (und hier herunter geladen werden kann). Der Leser hat dadurch die Möglichkeit, dem Text ohne umständliches hin- und herblättern zu folgen und nach Bedarf parallel dazu das Foto aufzuschlagen. Auf die Abbildungen wird nur durch die Abkürzung „Abb.“ mit entsprechender Zahl und Seite verwiesen. Damit ist der zugehörige Band II gemeint.

Falls die Lage der in der Magisterarbeit erwähnten kleinen Dörfer nicht bekannt ist, kann dies aus dem Gesamtwerkverzeichnis ersehen werden, da dort PLZ und Landkreise verzeichnet sind.

 

[1] Stüven, Wilfried: Orgel und Orgelbauer im halleschen Umland vor 1800. Wiesbaden 1964, S. 150.

[2] Behrens, Michael: Friedrich Wilhelm Wäldner (1785-1852). Ein vergessener Hallenser Orgelbauer des 19. Jahrhunderts, in: Ars musica. Gunter Fleischhauer zum 60. Geburtstag am 8. Juli 1988. Blankenburg 1988, S. 91.

[3] Vgl. ebd., S. 91-93.

[4] Beispiele dafür sind (Auswahl): Brülls, Holger: Ladegast-Orgeln in Sachsen-Anhalt. Halle 2005, oder: Koschel, Alexander: Im Wandel der Zeit – Die Ladegasts und ihre Orgeln. Friedrichshafen 2004 (mit CD-Rom), oder: Günther, Martin: Der Hausneindorfer Orgelbauer Ernst Röver. Eine fast vergessene Größe des spätromantischen Orgelbaus, in: Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt, hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie. Heft 2/2004, Berlin 2004, S. 121-138.

[5] Die verlassenen und verfallenen evangelischen Kirchen auf dem Land sprechen für sich.

[6] Vgl. Koschel, Friedrichshafen 2004, CD-Rom (=siehe Werkverzeichnis).

[7] Vgl. Falkenberg, Hans-Joachim: Zwischen Romantik und Orgelbewegung: die Rühlmanns; ein Beitrag zur Geschichte mitteldeutscher Orgelbaukunst 1842-1940. Lauffen 1995.

[8] Ein Beispiel dafür ist das Archiv von Lettin/Dölau, was 1945 verbrannte. Vgl.: Stüven, 1964, S. 184.

 

© 2020 | Michael Wünsche

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